BGH zur einseitigen Fortsetzung eines Lieferverhältnisses – Update zu „Kein Gratis-Strom im Schweinestall…“

19. Juli 2022 um 13:35 von

Mit Beitrag vom 10. Februar 2021 (Verlinkung) haben wir über ein Urteil des OLG Düsseldorf (I-27 U 19/19) zur Rechtsfigur der sog. geduldeten Notstromentnahme berichtet. Das OLG Düsseldorf hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Letztverbraucher, der ohne ein Lieferverhältnis zu einem bestimmten Lieferanten Strom bezogen hat, zwar in Niederspannung angeschlossen, aber nicht grundversorgungsberechtigt war. Bekanntlich hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass der Letztverbraucher dem Netzbetreiber (jedenfalls) auf der Grundlage der Geschäftsführung ohne Auftrag einen Ersatz für die entnommenen Strommengen schulde.

Diese Entscheidung wurde nunmehr mit Urteil vom 10. Mai 2022 (EnZR 54/21) durch den BGH gekippt. Nach Auffassung des BGH seien Strommengen, die ein Letztverbraucher ohne vertragliche oder gesetzliche Grundlage aus dem Niederspannungsnetz beziehe, bilanziell, wirtschaftlich und zivilrechtlich nicht dem Verteilernetzbetreiber, sondern dem Grund- und Ersatzversorger zuzuordnen. Die Zuordnung zum Grund- und Ersatzversorger habe unabhängig davon zu erfolgen, ob es sich bei dem betroffenen Letztverbraucher um einen grundversorgungsfähigen Haushaltskunden handele oder nicht.

Der BGH hat unter Bezugnahme auf seine frühere Entscheidung vom 27.10.2020 (EnVR 104/19) erklärt, dass einer Zuordnung lieferantenloser Lieferstellen zum Bilanzkreis des Verteilnetzbetreibers die Entflechtungsvorgaben der §§ 6 ff. EnWG entgegenstünden. Da eine bilanzielle Zuordnung zum Verteilnetzbetreiber unzulässig sei, könnten die Strommengen, die der Letztverbraucher unberechtigterweise aus dem Netz entnehme, auch nicht dem Vermögen des Verteilnetzbetreibers zugeordnet werden. Deshalb könne dieser keine Zahlungsansprüche – über eine Geschäftsführung ohne Auftrag oder das Bereicherungsrecht – gegen den Letztverbraucher geltend machen.

Nach Auffassung des BGH seien die Strommengen, die der lieferantenlose Letztverbraucher dem Niederspannungsnetz entnehme, stets dem Grund- und Ersatzversorger bilanziell zuzuordnen. Dies gelte wegen der Auffangfunktion des Grund- und Ersatzversorgers insbesondere auch dann, wenn der Letztverbraucher nicht als Haushaltskunde qualifiziert werden könne. Es komme also in jedem Fall zu einer wirtschaftlichen und vermögensrechtlichen Zuordnung zum Grund- und Ersatzversorger; und das selbst nach Auslaufen Ersatzversorgung. Der Letztverbraucher setze das Lieferverhältnis nach Ablauf der dreimonatigen Ersatzversorgung einseitig fort, so der BGH. Der ihm somit gewissermaßen aufgedrängten Belieferung des Letztverbrauchers könne der Grund- und Ersatzversorger entgegenwirken, indem er eine Zählersperre durchsetze oder zivilrechtliche Unterlassungs- und Ausgleichsansprüche geltend mache.

Damit lehnt der BGH die kontrovers diskutierte Rechtsfigur der geduldeten Notstromentnahme sowohl für grundversorgungsfähige (Beschluss vom 27.10.2020, EnVR 104/19) als auch für nicht grundversorgungsfähige Letztverbraucher (Urteil vom 10.05.2022, EnZR 54/21) kategorisch ab. Die Verantwortlichkeit für die Belieferung der Letztverbraucher liegt aus Sicht des BGH ausnahmslos bei dem jeweils zuständigen Grund- und Ersatzversorger.

Zugang zu Ladepunkten?

16. Juli 2021 um 12:02 von

Mit Festlegung vom 21.12.2020 (BK6-20-160) hat die Bundesnetzagentur die Netzbetreiber verpflichtet, den Betreibern von Ladepunkten Netzzugang zur Ermöglichung einer ladevorgangscharfen bilanziellen Energiemengenzuordnung zu ermöglichen. Der Ökostrom-Anbieter LichtBlick geht noch einen Schritt weiter und begehrt den Zugang zur Ladeinfrastruktur selbst.

LichtBlick hat nach eigenen Angaben beim Datendienstleister Statista die Auswertung des Ladesäulenregisters der Bundesnetzagentur in Bezug auf „Monopolstrukturen“ beauftragt. Mit dem Ergebnis dieser Auswertung – nämlich dass sich jeweils wenige „Platzhirsche“ den regionalen Ladesäulenmarkt teilen – propagiert LichtBlick nun, dass auch der Zugang zur Ladeinfrastruktur gewährt werden müsse.

Allerdings ist eine rechtliche Grundlage für eine etwaige Verpflichtung der Ladeinfrastrukturbetreiber nicht ersichtlich. Das Regulierungsrecht des EnWG endet an der Schnittstelle zwischen Netz und Ladeinfrastruktur. Mehr als fraglich ist auch ein kartellrechtlicher Anspruch. Denn neben der unklaren Bestimmung des räumlichen Marktes ist insbesondere der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nicht offenkundig. Allein die Tatsache, dass jemand alleiniger Betreiber technischer Einrichtungen ist, macht ihn noch nicht zum zugangsverpflichteten Monopolisten. Durchgreifende Gründe, warum anderen Unternehmen der Zugang zum Markt – etwa mittels Errichtung eigener Ladeinfrastruktur – unzumutbar sein sollte, sind nicht ohne weiteres erkennbar.

Kein Gratis-Strom im Schweinestall…

10. Februar 2021 um 22:28 von

…unter diesem Titel hat das OLG Düsseldorf (I-27 U 19/19) am 10.02.2021 eine Pressmitteilung (Link) veröffentlicht.

Inhaltlich ging es wieder einmal um die sog. geduldete Notstromentnahme: Ein Letztverbraucher entnimmt Strom aus dem Netz, ohne dass ein Lieferverhältnis zu einem Stromlieferanten besteht. Immer wieder stellt sich sodann die Frage, ob der Letztverbraucher dem Netzbetreiber oder einem Lieferanten ein Entgelt für die entnommenen Strommengen schuldet.

In jüngster Vergangenheit setzte sich bei der Bundesnetzagentur und den Gerichten verstärkt die Ansicht durch, dass diese Letztverbraucher ausnahmslos dem Grund-/Ersatzversorger zuzuordnen seien, weil es keine Bilanzierungslücken geben dürfe.

Der nun vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall wies die Besonderheit auf, dass der Letztverbraucher zwar in Niederspannung angeschlossen, er aber nicht grundversorgungsberechtigt war. Aufgrund der von ihm entnommenen Strommengen fiel er zwar (zunächst) in die Ersatzversorgung, nach deren Auslaufen wurde nach Ansicht des Senats aber weder ein Grundversorgungs- noch ein Sonderkundenvertrag geschlossen.

Mit überzeugender Begründung entscheid das OLG Düsseldorf, dass der Letztverbraucher dem Netzbetreiber (jedenfalls) auf der Grundlage der Geschäftsführung ohne Auftrag Ersatz für die entnommenen Strommengen schulde. Eine (bilanzielle) Zuordnung des Letztverbrauchers zum Grund-/Ersatzversorger dürfe entgegen den gesetzlichen Wertungen nicht erfolgen.

Einen Verstoß gegen die Entflechtungsvorgaben der §§ 6 ff. EnWG hat das OLG Düsseldorf zutreffend abgelehnt, weil die Duldung oder die unterlassene Unterbindung der Entnahme von Strom durch den Verteilernetzbetreiber an der von ihm kontrollierten Anschlussstelle mit einem vertraglichen Lieferverhältnis nicht gleichzusetzen sei.

Die Höhe des Anspruchs ist noch unklar; das OLG Düsseldorf hat zunächst ein Grundurteil erlassen, gegen das aufgrund seiner Tragweite die Revision zugelassen wurde.

Wir werden weiter berichten.

Last Minute – Registrierung im Marktstammdatenregister

11. Januar 2021 um 17:15 von

Gemäß § 23 Abs.1 MaStRV werden Ansprüche auf Zahlungen von Marktprämien, Einspeisevergütungen und Flexibilitätsprämien nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz sowie Ansprüche auf Zahlungen nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz erst fällig, wenn die Betreiber die Einheiten registriert haben. Entsprechendes gilt für Abschlagszahlungen. Für Anlagen, die vor dem 01.02.2019 in Betrieb genommen wurden, gilt allerdings gemäß § 25 Abs.6 MaStRV seit dem Start des Webportals am 31.01.2019 eine Übergangsfrist von 24 Monaten. Diese Frist läuft nun endgültig zum 31.01.2021 ab.

Vor diesem Hintergrund ist die schnellstmögliche Registrierung geboten, will man nicht die (rechtzeitige) Auszahlung einer sonst grundsätzlich zustehenden Förderung riskieren. Die Bundesnetzagentur weist auf der Seite des Marktstammdatenregisters ausdrücklich darauf hin, dass es derzeit aufgrund einer erhöhten Nachfrage im Register  zu einer verzögerten Bearbeitung von Meldungen kommen kann. Für den Zeitraum bis zur (verzögerten) Registrierung sind die Netzbetreiber gehalten, die Zahlung für (noch) nicht registrierte Anlagen zurückzuhalten. Allerdings sollen die zurückgehaltenen Zahlungen nachgezahlt werden, sobald die Anlagen registriert wurden.

 

Achtung Verjährung – Q-Element-Schäden

8. Oktober 2020 um 11:52 von

Mit Urteil vom 08.05.2018 (Az. VI ZR 295/17) hat der Bundesgerichtshof die bis dahin in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilte Frage nach der Ersatzfähigkeit des sog. Q-Element-Schadens im Sinne der Netzbetreiber entschieden. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs kann ein Netzbetreiber den Ersatz des Gewinns verlangen, der ihm entgeht, weil die Beschädigung seines Stromkabels eine Versorgungsunterbrechung verursacht, die zu einer Verschlechterung seines Qualitätselements und – in der Folge – zu einer Herabsetzung seiner von der Bundesnetzagentur festgelegten Erlösobergrenze führt. Inzwischen existieren verschiedene unterinstanzliche Entscheidungen, in denen sich die Gerichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeschlossen haben.

Die Schadensersatzansprüche von Netzbetreibern aufgrund von Kabelbeschädigungen aus dem Jahr 2017 drohen mit Ablauf dieses Jahres zu verjähren. Dies ist von besonderer Relevanz, da durch Dritte verursachte Versorgungsunterbrechungen aus dem Jahr 2017 nicht nur in das bereits festgelegte Qualitätselement für die Jahre 2019 und 2020 einfließen. Wie eine Festlegung der Bundesnetzagentur vom 26.02.2020 (Az. BK8-20/00001-A) zeigt, werden diese Versorgungsunterbrechungen auch zukünftig im Qualitätselement berücksichtigt.

Auf Wunsch der Branche plant die Bundesnetzagentur, die Qualitätselemente beginnend mit der Festlegung für die Jahre 2021 bis 2023 jährlich im Sinne eines rollierenden Systems zu bestimmen. Die genaue Funktionsweise dieses rollierenden Systems ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Möglicherweise werden sich Versorgungsunterbrechungen aus dem Jahr 2017 sogar in fünf, mindestens aber in drei Jahren auf das Qualitätselement auswirken.

Sofern die im Jahr 2017 von Dritten verursachten Q-Element-Schäden noch nicht beglichen worden sind, sollten daher zeitnah verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen werden. Nach unserer Erfahrung sind viele Schädiger trotz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach wie vor nicht dazu bereit, den Netzbetreibern deren Q-Element-Schäden zu ersetzen.