Rückbau der Gasnetze – Das Ende der Duldungspflicht?!

30. Mai 2023 um 09:00 von

12 NDAV und schon § 8 AVBGasV verpflichte(te)n im Rahmen der dort genannten Voraussetzungen Anschlussnehmer, das Anbringen und Verlegen von Leitungen nebst Zubehör für die Zwecke der örtlichen Versorgung auf deren Grundstücken unentgeltlich zu dulden. Man spricht von einer Solidargemeinschaft der Anschlussnehmer, die quasi als Gegenleistung für die Möglichkeit des Gasbezugs Gasverteilungsanlagen auf ihren Grundstücken dulden müssen.

Diese Solidargemeinschaft droht nun aufgrund der Wärmewende nach und nach zu zerbrechen, und dies mit erheblichen Folgen. Denn kündigt ein Anschlussnehmer seinen Netzanschlussvertrag und stellt den Gasbezug ein, ist er nach Ablauf einer Übergangsfrist von 3 Jahren nicht mehr gemäß § 12 Abs. 1 NDAV zur Duldung von Netzbestandteilen oder fremden Netzanschlussleitungen auf seinem Grundstück verpflichtet.

Eine Entfernung sämtlicher stillgelegter Gasversorgungsanlagen würde die Gasnetzbetreiber aber nicht nur wirtschaftlich massiv überfordern. Denn darüber hinaus ist der Netzbetreiber gegenüber den verbleibenden Anschlussnehmern weiterhin zur Aufrechterhaltung der Versorgung verpflichtet. Dazu ist die Inanspruchnahme privater Grundflächen oftmals unerlässlich, die Verlegung bestehender Infrastruktur unmöglich oder mit unverhältnismäßig hohen Kosten, die am Ende des Tages wiederum von den verbleibenden Gaskunden zu tragen wären, verbunden.

Dieses skizzierte Szenario ist längst kein theoretisches Problem mehr. Die aktuellen Fälle können oftmals noch individuell über den Einwand einer unzumutbaren Kostenbelastung des Netzbetreibers bei Entfernung der Leitungen, Entschädigungszahlungen an den Grundeigentümer oder aber auch über die Verlegung von Versorgungsleitungen gelöst werden. Die Anstrengung von Enteignungsverfahren – soweit überhaupt zulässig – ist wenig praktikabel.

Die steigende Zahl dieser Fälle zeigt aber bereits jetzt, dass solche individuellen Lösungen kein Zukunftsmodell sind. Der Gesetz-/Verordnungsgeber ist gefragt. Eine denkbare Lösung könnte es sein, die zeitliche Befristung einer auf drei Jahre fortbestehenden Duldungspflicht für die Zeit nach Einstellung der Anschlussnutzung in § 12 Abs. 4 NDAV zu streichen. In der Folge würde die Duldungspflicht fortdauern, es sei denn, dass dies dem Grundstückseigentümer im Einzelfall nicht zugemutet werden kann, die Aufrechterhaltung der Versorgung der andern Anschlussnehmer aber anderweitig sichergestellt werden kann. In letztgenanntem Fall sollte der Anspruch auf Rückbau aber davon abhängig gemacht werden, dass der Grundeigentümer wenigstens einen Teil der Kosten einer Verlegung trägt.

Angesichts der politisch forcierten Wärmewende bleibt nicht mehr viel Zeit, so dass ein schnelles gesetzgeberisches Handeln gefragt ist. Es bleibt zu hoffen, dass es diesem alltäglichen und dem sukzessiven Ausstieg aus der Gasversorgung nachgelagerten Problem nicht an Gewicht fehlt, um überhaupt und schnell genug beachtet zu werden.

Inanspruchnahme von Grundstücken – BGH entscheidet zu Gunsten eines Grundstückseigentümers

11. Juli 2014 um 00:40 von

BGH 1004In unserem Blog-Beitrag vom 04.06.2014 hatten wir auf die immer wieder auftretenden Schwierigkeiten im Umgang mit der über § 12 NAV/NDAV eingeräumten Grundstücksbenutzung hingewiesen. Wie wichtig aber überhaupt eine gesetzliche, dingliche oder vertragliche Grundlage ist, hat die jüngste Entscheidung des BGH vom 16.05.2014 (V ZR 181/13) im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme fremder Grundstücke gezeigt.

Dort hatte sich der V. Zivilsenat mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Grundstückseigentümer seinen aus § 1004 Abs. 1 BGB erwachsenden Beseitigungsanspruch verliert, wenn zuvor jahrelang die Inanspruchnahme des Grundstücks durch eine unterirdisch verlegte Anschlussleitung des Nachbarn einvernehmlich geduldet wurde. Diese Frage hat der BGH ausdrücklich zu Gunsten des Grundstückseigentümers entschieden.

Insbesondere führt der BGH in den Entscheidungsgründen aus, dass die Verjährung des bereits vor Jahren entstandenen ursprünglichen Beseitigungsanspruchs keine Pflicht zur Duldung in der Zukunft begründet. Demgemäß kann die Beseitigung einer ursprünglich erlaubten Leitung jederzeit für die Zukunft verlangt werden oder selbst vorgenommen werden.

Des Weiteren betont der Senat, dass die einmal gestatte Verlegung der Leitung durch den ursprünglichen Eigentümer eines Grundstücks keine Bindungswirkung für dessen Rechtsnachfolger entfalten kann. Der BGH gesteht dem Eigentümer des in Anspruch genommenen Grundstücks sogar zu, eine einmal erteilte Gestattung jederzeit zu widerrufen und die aus seinem Eigentum ableitbaren Rechte aus § 1004 Abs. 1 BGB geltend zu machen.

Eine Duldungspflicht des Eigentümers gemäß § 1004 Abs. 2 BGB hätte sich danach allenfalls aus den Grundsätzen der Verwirkung (der Beseitigungsbefugnis des Eigentümers) herleiten lassen. Im konkreten Fall hatte der BGH aber auch dies verneint. Denn ursprünglich wurde die Leitung im Einvernehmen mit dem ehemaligen Eigentümer verlegt und betrieben. Mithin bestand für den Zeitraum bis zur Eigentumsübertragung auf den neuen Eigentümer eine schuldrechtliche Vereinbarung, welche die Grundstücksnutzung ausdrücklich gestattete. Solange aber der Eigentümer auf Grundlage einer schuldrechtlichen Vereinbarung auf die Ausübung seiner Rechte verzichtet, kann er in Bezug auf die Wahrnehmung seiner Beseitigungsansprüche nicht untätig im Sinne der Verwirkung sein.

Diese schuldrechtliche Vereinbarung endete schließlich (erst) mit der Eigentumsübertragung auf den neuen Eigentümer. Dessen Verhalten ließ aber nicht auf die Erfüllung der für die Annahme der Verwirkung erforderlichen Zeit- und Umstandsmomente schließen, da der neue Eigentümer im Gegenteil rasch die Beseitigung der Leitung verlangte. Dementsprechend standen dem neuen Eigentümer mit dem Ende des ursprünglichen Gestattungsvertrages (erneut) die Ansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB zu.

In Ermangelung einer (weiteren) rechtlichen Grundlage, welche die Nutzung des fremden Grundstücks gestattete, war dem Begehren des Grundstückseigentümers in Form der Entfernung der Leitung stattzugeben. Lediglich für Fälle mit besonderen Konstellationen und unbilligen Härten hat der BGH eine Hintertür offen gelassen. Um besonderen Umständen Rechnung tragen zu können, verwies der BGH für zukünftige Fälle auf die Prüfung einer aus § 242 BGB resultierenden unzulässigen Rechtsausübung des Grundstückseigentümers, sofern entsprechende Tatsachen vorliegen und vorgetragen sind.

Inwieweit diese Entscheidung uneingeschränkt auf Leitungen eines Energieversorgungsunternehmens übertragbar ist, wird die Zukunft zeigen. Unterschiede zwischen einer privaten Anschlussleitung und dem Betrieb eines Energieversorgungsnetzes lassen sich jedenfalls nicht nur argumentieren, sondern sollten auch in der künftigen Rechtsanwendung Berücksichtigung finden. Denn im Gegensatz zu der Leitung des Nachbarn dienen die Anlagen eines Netzbetreibers in aller Regel der öffentlichen Energieversorgung und damit nicht nur Singularinteressen. Die Entscheidung des BGH unterstreicht aber ein weiteres mal das Erfordernis, Duldungsrechte dauerhaft in geeigneter Form zu sichern.