LG Stuttgart zur Verfahrensgestaltung bei Konzessionsvergabe – Unzulässigkeit vertraglicher Mindestanforderungen

5. Juni 2024 um 09:00 von

Das Landgericht Stuttgart hat sich in einer Entscheidung vom 29.04.2024 (35 O 24/24 KfH) mit unterschiedlichen Aspekten der Verfahrensgestaltung auf der zweiten Stufe des Rüge- und Präklusionsregime nach § 47 EnWG befasst.

Unter anderem hat das Landgericht festgestellt, dass eine Gemeinde verpflichtet ist, alle Bieter – in anonymisierter Form – über sämtliche Rügen  und deren Behandlung durch die Gemeinde nebst Begründung zu informieren. Andernfalls verstößt sie gegen das Gebot eines transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens.

Darüber hinaus hat sich das Landgericht mit der Zulässigkeit gleich mehrerer konzessionsvertraglicher Mindestanforderungen auseinandergesetzt und entschieden, dass die von der Gemeinde geforderten Mindestregelungen – namentlich solche zu Folgekosten, Sonderkündigung, Angebotsinhalt als wesentlicher Vertragsinhalt sowie zum Rückbau stillgelegter Gasleitungen –, die zum Ausschluss vom Bieterverfahren bei Nichtbefolgung führen würden, rechtswidrig sind. Bieter, die dieser Forderung nicht oder nicht in vollem Umfang nachkommen, würden hierdurch diskriminiert.

Zwar soll es nach Auffassung des Landgerichts nicht per se unzulässig sein, bestimmte Mindestanforderungen festzulegen. Von einer Unzulässigkeit sei aber dann auszugehen, wenn kein hinreichendes, dem § 46 Abs. 1 Satz 2 EnWG oder den Zielen des § 1 EnWG dienendes Interesse erkennbar sei, die genannten Mindestanforderungen nicht nur als Auswahlkriterien mit der Sanktion des Punktverlusts bei Nichterfüllung auszugestalten, sondern an die nicht vollständige Erfüllung dieser Anforderungen den zwingenden Ausschluss vom Verfahren zu knüpfen. Der Gemeinde dürfe kein freies Ermessen dahingehend eingeräumt sein, selbst zu entscheiden, welche der Auswahlkriterien sie als Mindestanforderung mit der Sanktion des Ausschlusses bei Nichterfüllung festlege. Denn dann könnte sie als marktbeherrschendes Unternehmen sämtliche eigenen Interessen einseitig durchsetzen, was § 19 GWB aber gerade verhindern solle.

Von besonderer Relevanz dürften dabei die Ausführungen des Landgerichts zu den als Mindestforderung festgelegten Vertragsregelungen zum Rückbau stillgelegter Gasleitungen sein. Auch hier sei ein hinreichendes Interesse der Gemeinde an einer vertraglichen Rückbauverpflichtung nicht ersichtlich. Dem Einwand der Gemeinde, dass sich eine  Rückbaupflicht ohnehin aus § 1004 BGB ergebe, hält das Landgericht dabei entgegen, dass das Recht aus § 1004 BGB gewissen Einschränkungen unterliege und in besonderer Weise durch den Gedanken der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit geprägt sei. So könne der Beseitigungsanspruch in Ausnahmefällen beschränkt oder ganz ausgeschlossen sein, wenn die Beseitigung für den Störer mit unverhältnismäßigen, billigerweise nicht mehr zumutbaren Aufwendungen oder Mühen verbunden wäre und ihre Geltendmachung deshalb rechtsmissbräuchlich erscheint, was heute unmittelbar aus § 275 Abs. 2 folge.  Insofern sei hinsichtlich der von der Gemeinde verlangten unbedingten Rückbauverpflichtung festzustellen, dass eine zwingende Beseitigung von Anlagen gerade bei unterirdisch verlegten Leitungen zu unverhältnismäßig hohen Kosten und Eingriffen in die Infrastruktur und Natur führe. Das Landgericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass die einseitige Durchsetzung einer vertraglichen Regelung zur Beseitigung solcher Gasleitungen einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstellt.

Karlsruhe locuta, causa finita! – Rechtsverstöße im Konzessionsvergabeverfahren nach § 46 EnWG führen zur Nichtigkeit des Konzessionsvertrages

20. Dezember 2013 um 16:37 von

Mit Urteilen vom 17.12.2013 (Az.: KZR 65/12 und KZR 66/12) hat der BGH die Revisionen gegen die Entscheidungen des OLG Schleswig vom 22.11.2012 (Az.: 16 U Kart. 21/12 und 22/12) zurückgewiesen. Diese mit Spannung erwarteten Entscheidungen des BGH setzen einen Schlusspunkt unter die in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Fragen zur Ausgestaltung des Konzessionsvergabeverfahrens nach § 46 EnWG, zu möglichen Rügepflichten sowie zu den Rechtsfolgen fehlerhafter Konzessionsvergabeverfahren. Im Verhandlungstermin hat sich der Kartellsenat zu den einzelnen Rechtsfragen vorläufig wie folgt positioniert:

Der Senat leitet aus dem in § 46 Abs. 1 EnWG ausdrücklich normierten Diskriminierungsverbot eine Verpflichtung der Gemeinde her, ein transparentes und diskriminierungsfreies Konzessionsvergabeverfahren durchzuführen und die relevanten Entscheidungskriterien vorab bekanntzugeben. Ohne eine solche Bekanntgabe werde gegen das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG verstoßen, worin der Senat zugleich eine unbillige Behinderung im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB sieht.

Welche Auswahlkriterien zulässig seien, sei eine durchaus schwierige Rechtsfrage. Der Senat ließ aber deutlich erkennen, dass die Ziele des § 1 EnWG vorrangig zu berücksichtigen seien. Dies gelte ohne weiteres auch für Verfahren die zeitlich vor der Klarstellung des Gesetzgebers in § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG abgeschlossen wurden oder begonnen haben. Bei der Gewichtung der unterschiedlichen Zielsetzungen des § 1 EnWG habe die Gemeinde grundsätzlich einen Entscheidungsspielraum. Zudem könne innerhalb der von der KAV gesetzten Grenzen die Auswahlentscheidung nach Auffassung des Senats daneben durch konzessionsvertragliche Regelungen – wie Folgekostenregelungen, Kommunalrabatte sowie Kaufpreisregelungen – mitbestimmt werden. Die Berücksichtigung darüber hinausgehender fiskalischer Interessen sieht der Senat kritisch. Der Zweck der Konzessionsabgabenverordnung, übermäßige Belastungen der Strompreise zu verhindern, bestehe fort.

Das Interesse der Gemeinde, sich konzessionsvertraglich Einflussnahmemöglichkeiten auf den Netzbetrieb zu sichern, erkennt der Senat zwar grundsätzlich an; es sei aber sicherzustellen, dass es über dieses Kriterium nicht zu einer „Systementscheidung durch die Hintertür“ komme. Den Grundsatz vom Gleichlauf von Herrschaft und Haftung – wie ihn die Landeskartellbehörde Baden-Württemberg in ihrem Positionspapier zur Konzessionsvergabe hervorhebt – teilte der Senat mit Blick auf etwaige Kooperationsmodelle. Im Übrigen wurde aber die Notwendigkeit, dass die Kommune überhaupt am Netzbetrieb teilnimmt, durchaus kritisch hinterfragt.

Daran, dass Kartellrechtsverstöße der Gemeinde im Rahmen des Konzessionsvergabeverfahrens zur Unwirksamkeit des daraufhin abgeschlossenen Konzessionsvertrages führen, hat der Senat keine Zweifel gelassen. In solchen Fällen komme auch eine Berufung auf die konzessionsvertragliche Endschaftsbestimmung aus abgetretenem Recht nicht in Betracht.

An diesem Befund ändere sich auch nicht deshalb etwas, weil sich der Alt-Konzessionär erst im Netzherausgabeverfahren auf die Nichtigkeit des Konzessionsvertrages berufen hatte. Es sei fraglich, ob Grundsätze des förmlichen Vergabeverfahrens wie etwa Rügepflichten oder eine Präklusionswirkung auf die Konzessionsvergabe nach § 46 EnWG überhaupt übertragbar seien. Im Ergebnis ist der Alt-Konzessionär nicht gehindert Netzüberlassungsansprüchen, die Einwendung einer unwirksamen Konzessionierung auf Grund von Verfahrensfehlern der Kommune entgegen zu halten

Christian Hemmersbach