Grundversorger stehen vor schwieriger Entscheidung/Risiken auch für Netzbetreiber
Nachdem jüngst die EnWG-Novelle die parlamentarischen Hürden genommen hat, wird zeitnah die neu geschaffene Regelung zu Übergangsversorgung in § 38a EnWG in Kraft treten. Vereinfacht gesagt dehnt § 38a EnWG die nur für die Niederspannung oder Niederdruck geltenden Regelungen zur Ersatzversorgung mit manchen Modifikationen auf die höheren Ebenen Mittelspannung und Mitteldruck sowie die Umspannebene von Mittel- auf Niederspannung aus.
Eine der wichtigsten Modifikationen ist dabei, dass die Grundversorger nicht kraft Gesetzes verpflichtet sind, die Übergangsversorgung zu übernehmen. Es bedarf einer Vereinbarung mit dem Netzbetreiber, die der Grundversorger abschließen kann, aber nicht muss. Folglich sollte der Grundversorger zeitnah entscheiden, ob er die Übernahme der Übergangsversorgung anstreben will oder nicht.
Die gesetzliche Regelung zu den Preisen der Übergangsversorgung ist dabei in Anlehnung an den während der Energiekrise kurzfristig geltenden § 118c EnWG so ausgestaltet, dass dies einer Übernahme der Übergangsversorgung nicht entgegenstehen sollte. Der Übergangsversorger darf ein angemessenes Entgelt verlangen, das die Kosten einer kurzfristigen Beschaffung der Energie über Börsenprodukte zuzüglich Börsennebenkosten und eines Aufschlags von 10 % sowie zusätzlich einen Grundpreis umfassen darf. Hinzu kommen weiterhin die Kosten für die Netz- und Messentgelte sowie staatliche Belastungen.
Allerdings kann die beste Preisreglung nichts daran ändern, dass mit einer Übernahme der Übergangsversorgung auch ein in Fällen dieser Art wohl erhöhtes Forderungsausfall einhergeht. Dieses Risiko wird jedoch begrenzt durch § 38a Abs. 2 EnWG, wonach der Übergangsversorger die Belieferung eines Letztverbrauchers aus wirtschaftlichen Gründen ablehnen kann. Als ein solcher wirtschaftlicher Grund werden im Gesetz ausdrücklich Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Kunden genannt.
Fraglich ist aber weiterhin, wem der Strom bilanziell zugeordnet wird, der nach einer Ablehnung der Übergangsversorgung von dem betreffenden Letztverbraucher gleichwohl verbraucht wird. Das war nach altem Recht Gegenstand mehrerer Auseinandersetzungen, die erst durch den BGH entschieden wurden. Der BGH hat in 2024 geurteilt, dass in solchen Fällen nicht etwa der Netzbetreiber in eine unfreiwillige Lieferantenposition eintritt. Vielmehr dürfe und müsse der Netzbetreiber die bis zu einer möglichen Anschlusssperre verbrauchten Strommengen bilanziell einem EVU zuordnen, „das aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Netzbetreibers voraussichtlich in der Lage ist, die Versorgung kurzfristig sicherzustellen.“ Das dürfe, so der BGH weiter, nicht ohne weiteres der Grundversorger sein; vielmehr käme insbesondere auch der letzte Versorger des lieferantenlosen Kunden in Betracht.
Ohne sich mit dieser BGH-Rechtsprechung auseinanderzusetzen, geht demgegenüber die amtliche Begründung zu § 38a EnWG beiläufig davon ausgeht, dass das wirtschaftliche Risiko eines nach Ablehnung der Übergangsversorgung am Netz bleibenden Kunden beim Netzbetreiber liegt. Ob diese Risikozuweisung im Gesetzgebungsverfahren zu einer Abkehr von der bisherigen BGH-Rechtsprechung führt, wonach die Energiemengen dem Bilanzkreis eines Vertriebsunternehmens zugeordnet werden müssen, sei es nun der Übergangsversorger oder ein anderes Unternehmen, wird man abwarten müssen. Jedenfalls ergibt sich aus der amtlichen Begründung ein (neues) Risiko für den Netzbetreiber, so dass auch dieser im eigenen wirtschaftlichen Interesse lieferantenlose Kunden in höheren Spannungsebenen kurzfristig vom Netz trennen sollte, einerlei, ob es gar keinen Übergangsversorger gibt oder der Übergangsversorger unter Berufung auf eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit die Belieferung des Letztverbrauchers ablehnt.
Mit Urteil vom 17.09.2024 (Az. EnZR 57/23) hat sich der BGH erstmals mit der Frage nach dem Umgang mit von einem kurzfristigen Lieferantenausfall betroffenen Letztverbrauchern beschäftigt, die wegen eines Strombezugs in höheren Spannungsebenen nicht in den Anwendungsbereich der Grund- und Ersatzversorgung gemäß §§ 36, 38 EnWG fallen. Gegenstand der Entscheidung war insbesondere die richtige bilanzielle Zuordnung der betreffenden Marktlokationen und die sich daran anschließende Frage, welcher Lieferant die Marktlokationen beliefert.
In einem Beschluss nach § 522 ZPO hat sich das OLG Düsseldorf der herrschenden Meinung in der Literatur angeschlossen, dass der Anwendungsbereich des § 41 Abs. 3 EnWG a.F. auf Haushaltskunden beschränkt ist. Das war lange umstritten. Zwar adressierten nämlich die amtliche Überschrift des § 41 EnWG a.F. und alle anderen Absätze ausdrücklich nur den Haushaltskunden; in Abs. 3 war allerdings vom Letztverbraucher die Rede. Der auf Haushaltskunden beschränkte Anwendungsbereich auch dieses Absatzes ergibt sich nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf aus der amtlichen Begründung sowie aus Systematik und dem Sinn und Zweck der Norm. Der gegenteilige Wortlaut beruhe in der damals gültigen Fassung des Gesetzes auf einem Redaktionsversehen.
Mit Urteil vom 15.06.2023 (Az. 2 U 179/21) hat das Oberlandesgericht Hamm im Rahmen eines Berufungsverfahrens über einen Fall mit einigen für das Vertriebsrecht interessanten Fragestellungen entschieden. Ein Energieversoger hat einen größeren Industriekunden mit Strom beliefert und aufgrund eines Fehlers des Messstellenbetreibers bei der Verarbeitung der Messwerte über Jahre einen deutlich zu niedrigen Stromverbrauch abgerechnet. Nachdem der Fehler auf Seiten des Messstellenbetreibers aufgefallen war, hat der Energieversorger Korrekturrechnungen gegenüber dem Kunden ausgestellt, die mit einer hohen Nachforderung endeten. Der Kunde hat keine Zahlungen an den Versorger geleistet und sich hierbei neben verschiedenen anderen Einwänden u.a. auf die dreijährige Ausschlussfrist aus § 18 Abs. 2 Hs. 2 StromGVV bzw. einer dieser Regelung nachgebildeten Klausel aus den AGB des Liefervertrages berufen. Außerdem hat er für den Fall einer Stattgabe der Klage widerklagend Schadensersatzansprüche geltend gemacht und zur Begründung angeführt, dass ihm bei einer rückwirkenden Abrechnung des höheren Stromverbrauchs wegen der inzwischen abgelaufenen Antragsfristen energie- und steuerrechtliche Privilegierungen in Form einer Reduzierung der EEG-Umlage (im Rahmen der besonderen Ausgleichsregelung) und der Stromsteuer entgehen würden.