Grundsatz bestätigt: Pflichtversorgungskunden können fehlerhafte Messung/Ablesung erst im Rückforderungsprozess beanstanden

8. Oktober 2013 um 10:44 von

Zähler elektronisch1Kaum jemals wird ein Rechtsstreit wegen rückständiger Versorgungsentgelte vor den Gerichten verhandelt, ohne dass sich der Kunde früher oder später auf eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der ermittelten Verbrauchsmengen berufen würde. Dieser Einwand mag oftmals nur vorgeschützt sein, sich teilweise aus bloßem Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Netzbetreibers (als Messstellenbetreiber) ergeben und teilweise auch einem ungenügenden Einschätzungsvermögen bezüglich des eigenen Verbrauchsverhaltens geschuldet sein – als gerechtfertigt erweist sich dieser Einwand erfahrungsgemäß nur in den seltensten Fällen.

Umso misslicher ist es daher, dass einige Gerichte nicht selten bloße Zweifel an der Richtigkeit der Messung und Ablesung genügen lassen wollen, um dem Versorger einen Beweis der tatsächlichen Liefermengen abzuverlangen, und ihm – zur Vermeidung dieses zeit- und kostenaufwändigen Unterfangens – die Eingehung eines verlustreichen Prozessvergleichs nahelegen. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass sich mancher Richter von einem falsch verstanden Verbraucherschutzdenken beeinflussen lässt. Denn zumindest im Bereich der Pflichtversorgung gemäß AVBWasserV, StromGVV und GasGVV hat der Verordnungsgeber klare Regelungen des Inhalts getroffen, dass eine Zahlungsverweigerung des Kunden grundsätzlich nur insoweit zulässig ist, als die fraglichen Abrechnungen bzw. die zugrunde gelegten Messwerte offensichtlich fehlerhaft sind (§ 30 Nr. 1 AVBWasserV sowie – jeweils mit zusätzlichen Einschränkungen bezüglich einer unterjährigen Verbrauchssteigerung und eines Nachprüfungsverlangens – § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV).

Hilfreich in der Argumentation vor den Instanzgerichten ist nun eine jüngere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.11.2012 zum Aktenzeichen VIII ZR 17/12. Darin bestätigt der Senat in Bezug auf § 30 Nr. 1 AVBWasserV einmal mehr:

„Um Liquiditätsengpässe und daraus folgende Versorgungseinschränkungen auszuschließen, wollte der Verordnungsgeber es den Versorgungsunternehmen mit der Bestimmung des § 30 AVB ermöglichen, die Vielzahl ihrer häufig relativ kleinen Forderungen mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen. Zu diesem Zweck sollte dem Kunden nur der von ihm zu erbringende Nachweis einer offensichtlichen Unrichtigkeit als Verteidigungsmittel gegen das Zahlungsverlangen offenstehen. Nach der gewählten Konzeption sollte der Kunde, der einen offensichtlichen Fehler nicht vortragen und/oder belegen kann, deshalb im Zahlungsprozess des Versorgungsunternehmens mit dem Einwand eines fehlerhaft abgerechneten Verbrauchs ausgeschlossen und darauf verwiesen sein, die von ihm vorläufig zu erbringenden Zahlungen in einem anschließend zu führenden Rückforderungsprozess in Höhe des nicht geschuldeten Betrages erstattet zu verlangen

(BGH, a.a.O. Rn. 12). Zur Begründung heißt es an nämlicher Stelle:

„Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die einem Kontrahierungszwang unterliegenden Versorgungsunternehmen in der Regel erheblichen Vorleistungspflichten ausgesetzt sind und ihrer gleichwohl bestehenden Aufgabe, für eine kostengünstige und sichere Energie- und Wasserversorgung einzustehen, nur dann hinreichend nachkommen können, wenn ein verhältnismäßig zeitnaher Zahlungseingang für die von ihnen erbrachte Versorgungsleistung gewährleistet ist.“

Die vom Kunden darzulegende und erforderlichenfalls zu beweisende Offensichtlichkeit des fraglichen Mess-, Ablese- oder Rechenfehlers setzt dabei voraus – so der Senat weiter –, dass die Rechnung bereits auf den ersten Blick Fehler erkennen lässt, also bei objektiver Betrachtung kein vernünftiger Zweifel über die Fehlerhaftigkeit möglich ist (BGH, a.a.O. Rn. 15 f.).

Es bleibt zu hoffen, dass die Instanzgerichte diese sachgerechte und überzeugend begründete Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zukünftig konsequenter berücksichtigen werden und damit der reflexhaften Berufung auf irgendwelche vorgeschützten Mess- oder Ablesefehler einen Riegel vorschieben.

Dortmunder Off-Peak

5. September 2013 um 16:44 von

DSC_2487-1Liebe Freunde der Kanzlei,

am 26.09.2013, 18:30 Uhr findet unser „Dortmunder Off-Peak“ in der Weingalerie Kaiserstraße – VinoVin, Kaiserstr. 77, 44135 Dortmund statt. Nach einem kurzen Gastbeitrag von Herrn Dr.  Hempel zur Gaspreisentscheidung des BGH vom 31.07.2013 (Az.: VIII ZR 162/09) bleibt im Rahmen einer Weinprobe genügend Zeit, sich auch über andere Themen der Energiewirtschaft auszutauschen.

Zur Anmeldung schicken Sie uns eine E-Mail an off-peak@hoech-partner.de. Aus organisatorischen Gründen ist die Teilnehmerzahl begrenzt. Wir werden die Anmeldungen daher nach dem Prinzip first come, first served berücksichtigen.

Es ist nie zu spät…

29. August 2013 um 10:14 von

IMG_0099…meint offenbar die Saint-Gobain-Gruppe, die derzeit eine Reihe von Netzbetreibern mit Rückforderungsklagen wegen angeblich überhöhter Netzentgelte seit dem Jahr 2002 überzieht. Dabei soll die dreijährige Verjährungsfrist offenbar dadurch umgangen werden, dass man nicht eine unbillige Festsetzung der Netzentgelte geltend macht, sondern sich auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen beruft. Es ist aber zweifelhaft, ob kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen überhaupt zur Anwendung kommen und, wenn ja, wie Saint-Gobain der Darlegungs- und Beweislast nachkommen will. Denn die Grundsätze, die von der Rechtsprechung in den diversen Verfahren zu § 315 BGB entwickelt worden sind, dürften nicht ohne weiteres übertragbar sein. Zudem ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Rückforderung von Netzentgelten im sog. Mehrerlös-Zeitraum zwischen der erstmaligen Beantragung und dem Erlass der ersten Netzentgeltgenehmigung nach § 23a EnWG überhaupt nicht und danach in den Zeiten aufsichtsbehördlich genehmigter Netzentgelte allenfalls in strengen Ausnahmen möglich.

BGH erklärt insolvenzbezogene Lösungsklauseln in Energielieferverträgen für unwirksam

16. August 2013 um 12:00 von

BGH2Energielieferungen werden an der Abnahmestelle grundsätzlich sofort und endgültig verbraucht. Anders als bei körperlichen Liefergegenständen kann daher dem Kreditrisiko, das aus der Vorleistungspflicht des Energielieferanten resultiert, nicht durch einen (verlängerten) Eigentumsvorbehalt begegnet werden. Umso stärker ist das Interesse der Energielieferanten, sich bei verschlechternder Bonität von ihrem Vertragspartner lösen zu können, noch ehe dessen Leistungsfähigkeit entfällt.

Eine solche Lösung vom Vertrag – sei es in Ausübung eines außerordentlichen Kündigungsrechtes oder durch Eintritt einer auflösenden Bedingung – sollte in der bisherigen Branchenpraxis durch Klauseln ermöglicht werden, die beim Vorliegen

(a) eines Insolvenzantrags und/oder

(b) eines materiellen Eröffnungsgrundes für das Insolvenzverfahren eingreifen.

Dieser Praxis hat der BGH nun einen Riegel vorgeschoben und in seinem Urteil vom 15.11.2012 (Az. IX ZR 169/11) entschieden, dass solche insolvenzbezogenen Lösungsklauseln wegen §§ 119, 103 InsO grundsätzlich unwirksam sind.

– Kernaussage des Urteils –

Bei Verträgen, die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig erfüllt sind, hat der Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO das Recht, abweichend von den allgemeinen insolventrechtlichen Regelungen die wechselseitige Erfüllung und mithin die Fortführung des Vertrages zu wählen. Vertragsklauseln, die dieses Wahlrecht des Insolvenzverwalters konterkarieren, sind gemäß § 119 InsO unwirksam. Bei einem typischerweise als Dauerschuldverhältnis ausgestalteten Energieliefervertrag greift im Insolvenzfall § 103 InsO ein. Im Kontrast dazu schließen insolvenzbezogene Lösungsklauseln eine Fortführung des Energieliefervertrages jedoch aus.

Insofern entsprach es bereits früher der herrschenden Meinung, dass eine unmittelbar an die Insolvenzeröffnung anknüpfende Lösungsklausel unwirksam sei (auch wenn diese Klauselgestaltung – wohl wegen ihrer Üblichkeit im Ausland – immer wieder anzutreffen war und ist). Gestützt auf die ältere Rechtsprechung des BGH zur Konkursordnung wurde allerdings vertreten, dass die Verbotsvorschrift des § 119 InsO ihre Wirkung erst ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung entfalte und der Insolvenzverwalter daher solche Rechtsfolgen, die der Vertrag zu diesem Zeitpunkt bereits ausgelöst habe, hinzunehmen habe. Eben diese Argumentation hat der BGH in seinem Urteil vom 15.11.2012 nun jedoch verworfen und klargestellt, dass auch ein Anknüpfen an zeitlich vorgelagerte Kriterien wie den Insolvenzantrag das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO in unzulässiger Weise beschränkt.

– Mögliche Ausnahme und Ausblick –

Im Anschluss an das Urteil des BGH wird lebhaft diskutiert, ob ein typischer Energieliefervertrag als Fixgeschäft im Sinne von § 104 Abs. 1 InsO anzusehen sei. Gemäß dieser Ausnahmevorschrift ist die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters bei frist- beziehungsweise termingebundenen Liefergeschäften über Waren, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, ohnehin ausgeschlossen. Maßgeblich für den Fixcharakter der Lieferung ist insbesondere, dass ein Nachholen der geschuldeten Leistung zu einem verspäteten Zeitpunkt für die Vertragsparteien keinen Wert mehr hat. Eben dies erscheint bei leitungsgebundenen Energielieferungen im Hinblick auf den unaufschiebbaren Versorgungsbedarf des Kunden und die automatische Bereitstellung von Ausgleichsenergie durch den Netzbetreiber zumindest argumentierbar.

Allerdings stellt § 104 Abs. 3 InsO konkrete Vorgaben dafür auf, wie der Nichterfüllungsschaden aus der insolvenzbedingten Störung des Fixgeschäfts auszugleichen ist, und auch diese Vorgaben können gemäß § 119 InsO vertraglich weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Überträgt man die Logik des Urteils vom 15.11.2012 auf diesen Themenbereich, dürfen die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten wirtschaftlichen Folgen einer insolvenzbezogenen Lösung von dem Energieliefervertrag also nicht von § 104 Abs. 3 InsO abweichen. Eine derart eng vorgezeichnete Lösungsklausel dürfte gegenüber dem unmittelbaren Gesetzesrecht aber allenfalls geringfügige Vorteile bieten.

Eine besondere Brisanz kommt der Unwirksamkeit insolvenzbezogener Lösungsklauseln gemäß §§ 119, 103 InsO im Rahmen von grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen zu: Denn zumeist lässt das ausländische Insolvenzrecht, dem die jeweiligen Vertragspartner unterliegen, eine entsprechende Vertragsgestaltung zu, so dass die Lösungsklausel einseitig zugunsten des deutschen Vertragspartners wirkt und damit die Ausgewogenheit des Regelungsgefüges gefährdet.

Letztlich wird man wohl akzeptieren müssen, dass die (alleinige) Vereinbarung insolvenzbezogener Lösungsklauseln kein taugliches Mittel zur Minderung des Kreditrisikos im Rahmen von Energielieferverträgen darstellt. Umso größeres Augenmerk sollte stattdessen auf anderweitige, nicht insolvenzbezogene Gestaltungen gelegt werden, die eine Lösung vom Vertrag beispielsweise in Abhängigkeit von der Güte eines Ratings, der Höhe spezifischer Finanzkennzahlen oder dem Eintritt bestimmter Schlüsselmaßnahmen der Finanzpartner (Banken, Konzernholding etc.) des Vertragspartners vorsehen.

BGH zieht Konsequenz aus EuGH-Urteil: Preisänderungsklausel analog § 4 AVBGasV im Sondervertrag unwirksam

6. August 2013 um 08:15 von

GasflammeAm Mittwoch, 31.07.2013, verkündete der Bundesgerichthof die Entscheidung, dass die unveränderte Übernahme des im Tarifkundenverhältnis geltenden Preisänderungsrechts aus § 4 AVBGasV in einen Sondervertrag AGB-rechtlich unwirksam sei, weil die Regelung nicht den Transparenzanforderungen der europäischen Klauselrichtlinie (RL 93/13/EWG) und der Erdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG, inzwischen aufgehoben durch RL 2009/73/EG) entspreche. Der BGH, der in der Vergangenheit eine solche unveränderte Übernahme des gesetzlichen Preisänderungsrechts aus Gründen der Interessengleichheit von Tarif- und Sonderkunden im Ergebnis für konform mit dem AGB-Recht gehalten hatte (vgl. BGH NJW 2011, 1342 Rn. 27 m.w.N.), musste mit der jüngsten Entscheidung vom 31.07.2013 nunmehr die im Ergebnis gegenteilige Konsequenz aus dem Urteil des EuGH vom 21.03.2013 (Rs C-92/11 – NJW 2013, 2253) ziehen. Der EuGH hatte damit die ihm vom BGH vorgelegten Fragen zur Anwendbarkeit der Klauselrichtlinie und zur Vereinbarkeit einer das gesetzliche Preisänderungsrecht unverändert übernehmenden AGB-Klausel mit dieser Richtlinie sowie der Erdgasbinnenmarktrichtlinie beantwortet. Zum Urteil des EuGH hatte ich bereits am 21.03.2013 in diesem Blog berichtet. Außerdem habe ich auf der frei zugänglichen AGB-Klauselwerke Homepage des C.H. Beck Verlags eine Anmerkung verfasst. Die Homepage veröffentlicht aktuelle Meldungen, die im Zusammenhang mit dem Handbuch “Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke” (hsrg. von Graf von Westphalen) stehen. Mein Kollege Dr. Thomas Höch und ich kommentieren darin das Recht der Gaslieferverträge.