Objektivierter Ertragswert vs. Sachzeitwert

8. Juli 2013 um 16:11 von

NetzWird der Konzessionsvertrag eines örtlichen Verteilnetzbetreibers durch die zuständige Gemeinde nicht verlängert, ist er gemäß § 46 II 2 EnWG verpflichtet, seine für den Netzbetrieb notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen „gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung“ zu übereignen.

Die Bestimmung dessen, was wirtschaftlich angemessenen ist, stellt bei Netzübernahmen häufig einen der wesentlichen Streitpunkte dar: Ist der objektivierte Ertragswert oder aber der  Sachzeitwert eine wirtschaftlich angemessene Vergütung im Sinne des § 46 II 2 EnWG?

Zu dieser spannenden und in der Literatur weithin umstrittenen Frage sind nun fast zeitgleich ein Aufsatz im aktuellen Heft des Deutschen Verwaltungsblattes (DVBl.)  von Dr. Bianca Christ und Martin Jacob sowie ein Gutachten des Regensburger Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Jürgen Kühling erschienen. Erwartungsgemäß kommen der Aufsatz „Verfassungsfragen des Netzübergangs nach § 46 II 2 EnWG“  (DVBl. 2013, 782) und das Gutachten „Interpretation und verfassungsrechtliche Steuerungsvorgaben in Bezug auf die „wirtschaftlich angemessene Vergütung“ für Netzanlagen nach § 46 II 2 EnWG“, welches Kühling im Auftrag des europäischen Verbands der unabhängigen Strom- und Gasverteilerunternehmen (GEODE) erstellt hat, zu gegenläufigen Ergebnissen:

Abgeleitet aus einer verfassungskonformen Auslegung unter Bezug auf die „Squeeze-Out-Rechtsprechung“ des BVerfG fordern Christ/Jacob eine Vergütung des wahren Werts, der neben dem Ertragswert (einschließlich aller Synergien) auch den Wiederbeschaffungswert berücksichtigt. Demgegenüber hält Kühling allein den objektivierten Ertragswert der übergehenden Anlagen für maßgeblich und im Lichte der „Squeeze-Out-Rechtsprechung“ auch für vereinbar mit der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG.

Die Mehrheit der Instanzgerichte hält die Berücksichtigung von Synergien für geboten (so etwa OLG Koblenz RdE 2011, 191). Solange eine höchstrichterliche – gegebenenfalls verfassungsgerichtliche – Entscheidung zur Höhe der wirtschaftlich angemessenen Vergütung gemäß § 46 II 2 EnWG aussteht, bleibt es hier weiterhin spannend.