LG Kiel als Hüter der reinen Lehre? – Ein Kommentar

2. Dezember 2013 um 08:00 von

Ein bemerkenswerter Vorgang: Das Landgericht Kiel hat sich in einem Urteil vom 25.01.2013 (Az. 6 O 258/10 – REE 2013, 46) bewusst in Widerspruch zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzt. Es hat die Einschlägigkeit des kurz zuvor ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofes vom 10.10.2012 (Az. VIII ZR 362/11) festgestellt, nur um daraufhin ausdrücklich von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Inhaltlich ging es jeweils um Netzanschlussbegehren von EEG-Anlagenbetreibern und konkret um die Frage, ob bei der Bestimmung des Verknüpfungspunktes gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2009 das Kriterium der wirtschaftlichen Günstigkeit auch insoweit den Ausschlag gibt, als verschiedene Einspeisepunkte im Netz ein und desselben Netzbetreibers in Rede stehen (vgl. hierzu unseren Artikel in REE 2011, 208). Diese Frage hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 10.10.2012 bejaht und damit die vorangegangene juristische Kontroverse (vermeintlich) beendet – nicht so jedoch für den Landgerichtsbezirk Kiel, wie nun das Urteil vom 25.01.2013 belegt.

Darf das Landgericht Kiel von einer einschlägigen und aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichen? Einerseits ja, denn nach dem Rechtsstaatsprinzip ist jeder Richter nur an Recht und Gesetz gebunden und kann dieses in richterlicher Unabhängigkeit auslegen. Andererseits ist der Richter allerdings kraft Gesetzes verpflichtet, das Gebot der Prozessökonomie zu beachten. Ein Abweichen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im erstinstanzlichen Verfahren provoziert hingegen ein erneutes zeit- und kostenträchtiges Durchlaufen der Rechtsmittelinstanzen. Dies wäre aus prozessökonomischer Sicht nur dann zu rechtfertigen, wenn eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung realistischerweise in Betracht käme. Wird der Bundesgerichtshof die abweichende Auffassung des Landgerichts Kiel also zum Anlass nehmen, seine eigene, nur drei Monate zuvor erlassene Grundsatzentscheidung zu revidieren? Dass der Bundesgerichtshof sich diese Blöße geben wird, muss stark bezweifelt werden.

Weswegen hat sich das Landgericht Kiel gleichwohl außerstande gesehen, dem Bundesgerichtshof in dieser Rechtsfrage zu folgen? An rechtspolitischen Erwägungen dürfte dies nicht gelegen haben, da das Landgericht zwar einerseits die Ausbauziele für eine klimafreundliche Energieerzeugung und deren positiven Langfristfolgen für die Volkswirtschaft hervorhebt, andererseits aber die Vermeidung gesamtwirtschaftlich unsinniger Anschluss‑/Netzausbaukosten durchaus als relevantes Motiv anerkennt. Letztlich entscheidend ist für das Landgericht stattdessen offenbar, dass in seinen Augen die Auffassung des Bundesgerichtshofs dem Wortlaut von § 5 EEG 2009 widerspricht: Bei einer Gesetzesauslegung müssten aber alle sonstigen Auslegungsgesichtspunkte im Gesetzeswortlaut ihre Grenze finden.

Dieser dogmatische Grundsatz ist tatsächlich richtig. Er setzt jedoch voraus, dass der vom Gesetzgeber gewählte Wortlaut eindeutig und widerspruchsfrei ist. Hiervon geht das Landgericht im Fall von § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2009 aus; eben dies hat der Bundesgerichtshof hingegen anders beurteilt. Daher liegt, wenn man diese Beurteilung des Bundesgerichtshofs als richtig unterstellt, jedenfalls kein Verstoß gegen die Regeln der Rechtsmethodik vor. Folglich unterscheiden sich die jeweiligen Gesetzesauslegungen des Bundesgerichtshofs einerseits und des Landgerichts andererseits auch nicht etwa in ihrer methodischen Qualität, sondern nur in ihrem inhaltlichen Ergebnis.

Inhaltlich unterschiedliche Beurteilungen derselben Rechtsfrage durch verschiedene Gerichte sind aber die Regel, ohne dass deswegen die hierarchische Ordnung des Instanzenzuges in Frage gestellt werden müsste (im Gegenteil) und ohne dass es für den Richter eines Instanzgerichts unzumutbar wäre, die persönliche Auffassung hinter einer höchstrichterlichen Vorgabe zurückzustellen. Dies gilt im vorliegenden Fall erst recht insofern, als an einer konsistenten Wortwahl des EEG-Gesetzgebers insgesamt Zweifel bestehen: So hat etwa die Clearingstelle EEG in ihrer Empfehlung vom 29.09.2011 (Az. 2011/1) bereits überzeugend herausgearbeitet, dass in § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2009 die Verwendung des zentralen Begriffs „anderes Netz“ selbstwidersprüchlich ist insofern, als es nach der Definition in § 3 Nr. 7 EEG 2009 insgesamt nur ein Netz im Sinne des EEG 2009 geben kann (a.a.O. S 20 ff.).

Fazit:

Auch wenn sich das Landgericht Kiel erkennbar bemüht hat, den Eindruck einer sachfremden Profilierung zu vermeiden, erscheint die ausdrückliche Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung letztlich doch als persönliche Rechthaberei der befassten Richter. Leidtragender dessen ist nun die gesamte betroffene Branche – die EEG-Anlagenbetreiber nicht anders als die Netzbetreiber –, weil damit bezüglich dieser wichtigen Auslegungsfrage zu § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG der Eintritt von Rechtssicherheit wieder weiter hinausgeschoben worden ist.

Grundsatz bestätigt: Pflichtversorgungskunden können fehlerhafte Messung/Ablesung erst im Rückforderungsprozess beanstanden

8. Oktober 2013 um 10:44 von

Zähler elektronisch1Kaum jemals wird ein Rechtsstreit wegen rückständiger Versorgungsentgelte vor den Gerichten verhandelt, ohne dass sich der Kunde früher oder später auf eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der ermittelten Verbrauchsmengen berufen würde. Dieser Einwand mag oftmals nur vorgeschützt sein, sich teilweise aus bloßem Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Netzbetreibers (als Messstellenbetreiber) ergeben und teilweise auch einem ungenügenden Einschätzungsvermögen bezüglich des eigenen Verbrauchsverhaltens geschuldet sein – als gerechtfertigt erweist sich dieser Einwand erfahrungsgemäß nur in den seltensten Fällen.

Umso misslicher ist es daher, dass einige Gerichte nicht selten bloße Zweifel an der Richtigkeit der Messung und Ablesung genügen lassen wollen, um dem Versorger einen Beweis der tatsächlichen Liefermengen abzuverlangen, und ihm – zur Vermeidung dieses zeit- und kostenaufwändigen Unterfangens – die Eingehung eines verlustreichen Prozessvergleichs nahelegen. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass sich mancher Richter von einem falsch verstanden Verbraucherschutzdenken beeinflussen lässt. Denn zumindest im Bereich der Pflichtversorgung gemäß AVBWasserV, StromGVV und GasGVV hat der Verordnungsgeber klare Regelungen des Inhalts getroffen, dass eine Zahlungsverweigerung des Kunden grundsätzlich nur insoweit zulässig ist, als die fraglichen Abrechnungen bzw. die zugrunde gelegten Messwerte offensichtlich fehlerhaft sind (§ 30 Nr. 1 AVBWasserV sowie – jeweils mit zusätzlichen Einschränkungen bezüglich einer unterjährigen Verbrauchssteigerung und eines Nachprüfungsverlangens – § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV).

Hilfreich in der Argumentation vor den Instanzgerichten ist nun eine jüngere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.11.2012 zum Aktenzeichen VIII ZR 17/12. Darin bestätigt der Senat in Bezug auf § 30 Nr. 1 AVBWasserV einmal mehr:

„Um Liquiditätsengpässe und daraus folgende Versorgungseinschränkungen auszuschließen, wollte der Verordnungsgeber es den Versorgungsunternehmen mit der Bestimmung des § 30 AVB ermöglichen, die Vielzahl ihrer häufig relativ kleinen Forderungen mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen. Zu diesem Zweck sollte dem Kunden nur der von ihm zu erbringende Nachweis einer offensichtlichen Unrichtigkeit als Verteidigungsmittel gegen das Zahlungsverlangen offenstehen. Nach der gewählten Konzeption sollte der Kunde, der einen offensichtlichen Fehler nicht vortragen und/oder belegen kann, deshalb im Zahlungsprozess des Versorgungsunternehmens mit dem Einwand eines fehlerhaft abgerechneten Verbrauchs ausgeschlossen und darauf verwiesen sein, die von ihm vorläufig zu erbringenden Zahlungen in einem anschließend zu führenden Rückforderungsprozess in Höhe des nicht geschuldeten Betrages erstattet zu verlangen

(BGH, a.a.O. Rn. 12). Zur Begründung heißt es an nämlicher Stelle:

„Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die einem Kontrahierungszwang unterliegenden Versorgungsunternehmen in der Regel erheblichen Vorleistungspflichten ausgesetzt sind und ihrer gleichwohl bestehenden Aufgabe, für eine kostengünstige und sichere Energie- und Wasserversorgung einzustehen, nur dann hinreichend nachkommen können, wenn ein verhältnismäßig zeitnaher Zahlungseingang für die von ihnen erbrachte Versorgungsleistung gewährleistet ist.“

Die vom Kunden darzulegende und erforderlichenfalls zu beweisende Offensichtlichkeit des fraglichen Mess-, Ablese- oder Rechenfehlers setzt dabei voraus – so der Senat weiter –, dass die Rechnung bereits auf den ersten Blick Fehler erkennen lässt, also bei objektiver Betrachtung kein vernünftiger Zweifel über die Fehlerhaftigkeit möglich ist (BGH, a.a.O. Rn. 15 f.).

Es bleibt zu hoffen, dass die Instanzgerichte diese sachgerechte und überzeugend begründete Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zukünftig konsequenter berücksichtigen werden und damit der reflexhaften Berufung auf irgendwelche vorgeschützten Mess- oder Ablesefehler einen Riegel vorschieben.

BGH erklärt insolvenzbezogene Lösungsklauseln in Energielieferverträgen für unwirksam

16. August 2013 um 12:00 von

BGH2Energielieferungen werden an der Abnahmestelle grundsätzlich sofort und endgültig verbraucht. Anders als bei körperlichen Liefergegenständen kann daher dem Kreditrisiko, das aus der Vorleistungspflicht des Energielieferanten resultiert, nicht durch einen (verlängerten) Eigentumsvorbehalt begegnet werden. Umso stärker ist das Interesse der Energielieferanten, sich bei verschlechternder Bonität von ihrem Vertragspartner lösen zu können, noch ehe dessen Leistungsfähigkeit entfällt.

Eine solche Lösung vom Vertrag – sei es in Ausübung eines außerordentlichen Kündigungsrechtes oder durch Eintritt einer auflösenden Bedingung – sollte in der bisherigen Branchenpraxis durch Klauseln ermöglicht werden, die beim Vorliegen

(a) eines Insolvenzantrags und/oder

(b) eines materiellen Eröffnungsgrundes für das Insolvenzverfahren eingreifen.

Dieser Praxis hat der BGH nun einen Riegel vorgeschoben und in seinem Urteil vom 15.11.2012 (Az. IX ZR 169/11) entschieden, dass solche insolvenzbezogenen Lösungsklauseln wegen §§ 119, 103 InsO grundsätzlich unwirksam sind.

– Kernaussage des Urteils –

Bei Verträgen, die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig erfüllt sind, hat der Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO das Recht, abweichend von den allgemeinen insolventrechtlichen Regelungen die wechselseitige Erfüllung und mithin die Fortführung des Vertrages zu wählen. Vertragsklauseln, die dieses Wahlrecht des Insolvenzverwalters konterkarieren, sind gemäß § 119 InsO unwirksam. Bei einem typischerweise als Dauerschuldverhältnis ausgestalteten Energieliefervertrag greift im Insolvenzfall § 103 InsO ein. Im Kontrast dazu schließen insolvenzbezogene Lösungsklauseln eine Fortführung des Energieliefervertrages jedoch aus.

Insofern entsprach es bereits früher der herrschenden Meinung, dass eine unmittelbar an die Insolvenzeröffnung anknüpfende Lösungsklausel unwirksam sei (auch wenn diese Klauselgestaltung – wohl wegen ihrer Üblichkeit im Ausland – immer wieder anzutreffen war und ist). Gestützt auf die ältere Rechtsprechung des BGH zur Konkursordnung wurde allerdings vertreten, dass die Verbotsvorschrift des § 119 InsO ihre Wirkung erst ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung entfalte und der Insolvenzverwalter daher solche Rechtsfolgen, die der Vertrag zu diesem Zeitpunkt bereits ausgelöst habe, hinzunehmen habe. Eben diese Argumentation hat der BGH in seinem Urteil vom 15.11.2012 nun jedoch verworfen und klargestellt, dass auch ein Anknüpfen an zeitlich vorgelagerte Kriterien wie den Insolvenzantrag das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO in unzulässiger Weise beschränkt.

– Mögliche Ausnahme und Ausblick –

Im Anschluss an das Urteil des BGH wird lebhaft diskutiert, ob ein typischer Energieliefervertrag als Fixgeschäft im Sinne von § 104 Abs. 1 InsO anzusehen sei. Gemäß dieser Ausnahmevorschrift ist die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters bei frist- beziehungsweise termingebundenen Liefergeschäften über Waren, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, ohnehin ausgeschlossen. Maßgeblich für den Fixcharakter der Lieferung ist insbesondere, dass ein Nachholen der geschuldeten Leistung zu einem verspäteten Zeitpunkt für die Vertragsparteien keinen Wert mehr hat. Eben dies erscheint bei leitungsgebundenen Energielieferungen im Hinblick auf den unaufschiebbaren Versorgungsbedarf des Kunden und die automatische Bereitstellung von Ausgleichsenergie durch den Netzbetreiber zumindest argumentierbar.

Allerdings stellt § 104 Abs. 3 InsO konkrete Vorgaben dafür auf, wie der Nichterfüllungsschaden aus der insolvenzbedingten Störung des Fixgeschäfts auszugleichen ist, und auch diese Vorgaben können gemäß § 119 InsO vertraglich weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Überträgt man die Logik des Urteils vom 15.11.2012 auf diesen Themenbereich, dürfen die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten wirtschaftlichen Folgen einer insolvenzbezogenen Lösung von dem Energieliefervertrag also nicht von § 104 Abs. 3 InsO abweichen. Eine derart eng vorgezeichnete Lösungsklausel dürfte gegenüber dem unmittelbaren Gesetzesrecht aber allenfalls geringfügige Vorteile bieten.

Eine besondere Brisanz kommt der Unwirksamkeit insolvenzbezogener Lösungsklauseln gemäß §§ 119, 103 InsO im Rahmen von grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen zu: Denn zumeist lässt das ausländische Insolvenzrecht, dem die jeweiligen Vertragspartner unterliegen, eine entsprechende Vertragsgestaltung zu, so dass die Lösungsklausel einseitig zugunsten des deutschen Vertragspartners wirkt und damit die Ausgewogenheit des Regelungsgefüges gefährdet.

Letztlich wird man wohl akzeptieren müssen, dass die (alleinige) Vereinbarung insolvenzbezogener Lösungsklauseln kein taugliches Mittel zur Minderung des Kreditrisikos im Rahmen von Energielieferverträgen darstellt. Umso größeres Augenmerk sollte stattdessen auf anderweitige, nicht insolvenzbezogene Gestaltungen gelegt werden, die eine Lösung vom Vertrag beispielsweise in Abhängigkeit von der Güte eines Ratings, der Höhe spezifischer Finanzkennzahlen oder dem Eintritt bestimmter Schlüsselmaßnahmen der Finanzpartner (Banken, Konzernholding etc.) des Vertragspartners vorsehen.